Gourmetspitzen von Heinz Horrmann
Jolesch in Berlin: Und zum Schluss die süße Sünde
Die gutbürgerliche Küche Österreichs ist in der Hauptstadt äußerst beliebt. Ein außergewöhnliches Restaurant in der breiten Palette alpenländischer Esskultur ist gewiss das Jolesch in Kreuzberg (Muskauer Straße 1) weil hier die klassischen Gerichte weiterentwickelt und manchmal auch sehr eigenwillig interpretiert werden. Die Jolesch-Atmosphäre ist im Sommer auf der umfassenden Straßenterrasse am intensivsten. Der Gastraum selber ähnelt einem Bahnhofswartesaal, schmucklos, ohne Tischwäsche, und Sets, auch kein Blumenschmuck, aber der grandiose Service sorgt umgehend für Wärme und Glanz. Was ich in all den Testjahren noch nicht erlebt habe, ist das geschickte Umdrehen einer berechtigten Kritik in herzlichen Beifall. Ich lehne es grundsätzlich ab, wenn ein Restaurant nur deutschen, spanischen oder hier österreichischen Wein offeriert, und nichts anderes. Der Gast soll beklommen, was er sich wünscht. So weit, so gut.
Doch dann kam der Chef des Hauses mit einem großen Tablett mit Gläsern und veranstaltete an unserem Tisch eine Weinprobe, damit ich testen konnte, welche österreichische Kreszenz denn
meinem Geschmack am nächsten komme, Chardonnay, Veltliner, Grauburgunder, und einige Kombinationen unterschiedlicher Rebsorten (Assemblage), Kompliment für die gastfreundliche Idee. Diese
Begeisterung sollte grundsätzlich auch für die Küche gelten und das ist auch so. Dabei ging die Bewertung mit jedem Gang, wie dramaturgisch gewollt, nach oben. Durchaus in Ordnung, weil gut
abgeschmeckt, aber nicht aufregend das Schaumsüppchen vom Winzerkraut (mit Sauerkraut und Riesling aufgearbeitet) Der ganze Kopfsalat mit Pinienkernen, Oliven, Blauschimmelkäse (separat serviert,
damit jeder seine eigene Salatidee umsetzen kann) war schon ein Gedicht, das Wildkräuter – Himbeer- Dressing perfekt aromatisiert.
Ein wenig klein war für mich die geschmacklich erstklassige Spargel-Vorspeise ausgefallen, Flusskrebse und ein paar winzige Miniröllchen von der Rinderbrust mit Spargelspitzen, Avocado und für
eine leichte, begleitende Säure Rhabarber. Wahrscheinlich kam es mir die Portion so sparsam vor, weil ich gerne mehr davon genossen hätte.
Alle lieben Wiener Schnitzel. Höllisch schwer ist es auch nicht zuzubereiten. Leider kriegen es trotzdem nicht alle Küchen hin. Dünn muss das Fleisch aus der Oberschale vom Kalb sein, ordentlich
die Bindung der Panade mit dem Fleisch. Von einem runden Dutzend alpenländlichen Restaurants in Berlin serviert das Restaurant Jolesch gewiss eines der perfektesten , für mich ganz persönlich ist
das sogar das beste Wiener Schnitzel in der Stadt. Einige Gäste mögen nach der tausendsten Ausführung der Wiederholung des Gerichts überdrüssig sein, auch, wenn es vom Bio-Kalb geschnitten
ist. Unter dem Strich bleibt es aber der Bestseller. Auch mit weißroter Handschrift, aber in der Aromakombination höchst interessant, ist das Wiener Saftgulasch mit Semmelknödel und
natürlich der Tafelspitz., zart durch behutsames Garen, dazu Rahmspinat, Schnittlauchsauce, Röstkartoffel und Apfelkren (mittelscharf )
Der Küchenchef teilt seine Karte in „klassisch“ mit den Dauerbrennern Zwiebelrostbraten, Schnitzel vom Apfelschwein oder auch nur Frittatensuppe und dann „modern“ mit dem so genannten Gericht
„Waldboden“, das ist eine Verbindung von Morcheln, Steinpilzen, Eierschwammerl, ein wenig geschmortes Reh, Preiselbeeren und Nüssen. Für Vegetarier gehört in diese Kategorie „Ratatouille“ mit
Zuchiniblüte, geschmorten Tomaten, Paprika, gebackene Kartoffeln und gewürzt durch herzhaftem Gemüsejus.
Das Wiener Backhendl ist für mich und allen Gästen ein feststehender Begriff, ein zartes, paniertes und kross ausgebackenes Hähnchen. Der Küchenchef bringt bei seiner modernen
Interpretation nur die Brust eines Stubenkükens mit Zwiebelconfit und Erbsen sowie Kürbiskerne auf den Teller. Da war meine Empfehlung, zur klassischen Form mit dem panierten Geflügel
zurückzukehren, zumal das auch bei den Klassikern nicht mehr auf der Karte steht.
Sehr geschickt wird die auslaufende Spargelzeit noch einmal mit einer Extra- Karte eingefangen. Appetitlich kommt das Edelgemüse mit Frischlings-Rücken, Tiroler Bergschinken, exzellentem Wldlachs
und natürlich, wenn gewünscht mit einem Wiener auf den Tisch.
Für viele Gäste ist das Dessert aus der österreichischen Küche der finale Paukenschlag. Im Jolesch wurde eine Torte kreiert, die man durchaus als Süße Sünde bezeichnen darf, köstlich , aber auch
gehaltvoller als jeder Hauptgang: Das Naschwerk besteht aus einer von Hand gerührten Kürbiskern- Nuss- Basis, mit feiner Nougatcreme gefüllt und von Couverture umhüllt. Übrigens wird die
Torte auch auf Bestellung nach Hause geliefert (25 Euro). Eigentlich ist es schon selbstverständlich, aber um Lust zu machen weise ich mit Genuss darauf hin,, dass vorzüglich auch die
Salzburger Nockerl mit Preisbeeren sind, wie auch der Kaiserschmarrn mit Zwetschenröster und die klassischen Wachauer Marillenknödel mit geeistem Beerensüppchen, Joghurt-Eis und
Vanilleschaum. Besonders günstig ist die Sachertorte mit einer kräftigen Portion Schlagobers (4,00 Euro). Zum Dessert passt die österreichische Trockenbeerenauslese von Markowitsch, die mit
5,50 Euro pro Gläschen ebenso kundenfreundlich kalkuliert ist wie komplette Speise- und Weinkarte.
Unter dem Strich ist das Jolesch, das nach dem Torberg- Buch „ Tante Jolesch „ (mit vielen Rezepten) benannt ist, eine Empfehlung, die auch für kleiner Budgets realisierbar ist, besonders
auch das Mittagsmenü (12 bis 15 Uhr).
Restaurant Jolesch
Muskauer Straße 1, 10997 Berlin
Telefon 030 / 8123581
Geöffnet: montags bis freitags 11.30 Uhr bis 24 Uhr
www.jolesch.de